Venture Capital Schweiz: 6 Monate, CHF 2.6 Milliarden, 160 Deals und 34 Exits
In den ersten sechs Monaten in 2022 verzeichnete der Venture Capital (Risikokapital) Markt in der Schweiz mit knapp CHF 2.6 Milliarden Franken und mehr als 160 Finanzierungsrunden einen neuen Rekord. Auch die Anzahl Exits, der Verkauf oder der Börsengang eines Start-ups, hat neue Höchstwerte erreicht. Eine Umfrage, welche Einschätzungen und Meinungen bei 80 VCs (Investoren in Risikokapital) zu geplanten Investitionen, Exits und Bewertungen abgeholt hat, zeigt jedoch, dass das Wachstum in den nächsten zwölf Monaten tiefer ausfallen wird und der Trend der letzten zehn Jahren unterbrochen wird.
Mit CHF 2.585 Milliarden Franken haben Schweizer Start-ups im ersten Halbjahr fast 50% mehr Gelder erhalten, als in den ersten sechs Monaten im Jahr 2021. Dieser Anstieg resultiert unter anderem aus der ansehnlichen Anzahl von Runden mit einer Summe von über CHF 50 Millionen. Die grösste Runde mit CHF 600 Millionen durfte das Start-up Climeworks verbuchen.
Abbildung 1: Investitionsvolumen und Anzahl Finanzierungsrunden in Schweizer Start-ups (Report S. 3)
Neben dem Investitionsvolumen haben auch die Anzahl der Deals signifikant zugenommen. Mit 163 im ersten Halbjahr steigen diese mehr als 30% im Vergleich zur Vorjahresperiode.
Drei neue Start-up im Club der Einhörner
Zusammen mit Climeworks, welche im ersten Halbjahr die grösste Finanzierungsrunde erhalten hat, sind auch SonarSource (CHF 394.60 Mio.) und Scandit (CHF 138.6 Mio.) dem Club der Einhörner beigetreten. Einhörner werden Start-ups genannt, welche eine Bewertung von mehr als CHF 1 Milliarde aufweisen.
Zu den Top 10 gemessen an den Investitionssummen gehören neben den oben genannten Start-ups auch die SEBA Bank (CHF 110 Mio.), MindMaze (CHF 96.7 Mio.), DistalMotion (CHF 82.6 Mio.), Sygnum (CHF 82.4 Mio.), Yokoy Group (CHF 80 Mio.), Nexxiot (CHF 76 Mio.) und ImmunOs Therapeutics (CHF 71.4 Mio.).
ICT und Zürich weiterhin an der Spitze
Mit 48% sammelten ICT Unternehmen (Informations- und Kommunikationstechnik inkl. fintech) am meisten Kapital ein. Aufgrund der grossen Finanzierungsrunde durch Climeworks verzeichnet der Sektor Cleantech mit einem Anteil von 25% einen Rekordwert.
Abbildung 2: Investitionsvolumen und Anzahl Finanzierungsrunden pro Sektor (Report S. 6) | Abbildung 3: Investitionsvolumen und Anzahl Finanzierungsrunden pro Kanton (Report S. 7) |
Zürich hat im ersten Halbjahr 2022 die Milliarden-Marke geknackt und weist mit CHF 1.376 Mia. die grösste Finanzierungssumme auf. Auch bei der Anzahl von Runden führt Zürich mit 70 das Feld an. Dank der Finanzierungsrunde von SonarSource belegt Genf mit CHF 457 Mio. den zweiten Platz, gefolgt vom Kanton Waadt mit CHF 347 Mio.
Aktueller Report lässt noch keine Schlüsse für die Zukunft zu
Angetrieben von makroökonomischen Unsicherheiten im ersten Halbjahr wurde ein grosser Ausverkauf von Technologie-Aktien an der Börse beobachtet. Aufgrund der verzögerten Meldungen von Finanzierungsrunden ist keine Korrelation zwischen der weltweiten Lage und dessen Einfluss auf das Start-up Umfeld zu erkennen. Auch wenn der Mai 2022 der schwächste Monat seit Januar 2021 war, folgte dieser dem April 2022 – einem Rekordmonat.
Abbildung 4: Bewertung pro Finanzierungsphase und Verhältnis Investitionssumme / Bewertung (Report S. 9)
Die oben erwähnten Zahlen der erfolgreichen Finanzierungsrunden fliessen im Report ebenfalls in die Analyse der Bewertungen ein. Diese führten zu einer im Durchschnitt höheren Bewertung bei den Later Stage Start-ups. Im Bereich der Seed- und Early Stage-Phase sind die Bewertungen stabil geblieben. Während sich diese im Early Stage-Bereich im 2018 im Schnitt von CHF 18.5 Mio. im 2022 auf CHF 27 Mio. entwickelten, beträgt die durchschnittliche Bewertung in den ersten sechs Monaten bei Seed Runden CHF 9.2 Mio. Somit ist Stand heute weder eine Korrektur noch ein Hype erkennbar.
Das Verhältnis zwischen den Investitionssummen und der Bewertung gibt eine Indikation darüber, wie schwierig es für Gründer ist, an Investorengelder zu gelangen. Im ersten Halbjahr können wir bei Seed- und Early Stage-Phasen beobachten, dass die Höhe der Investitionssummen die Bewertungen übersteigt. Das lässt darauf schliessen, dass es wieder schwieriger geworden ist für Start-ups and Investorengelder zu kommen.
Im ersten Halbjahr setzte sich der Exit-Trend weiter fort. Mit 29 verkauften Start-ups wurde ein neuer Höchstwert erreicht. Von den 29 wurden sechs Unternehmen von Schweizer Firmen übernommen. Die Anzahl Exits verbleibt, verglichen mit den Vor-Corona Jahren weiterhin auf tiefem Niveau.
Eine Umfrage durch EY unterstreicht diesen Trend. Die IPO Aktivitäten (Börsengang eines Unternehmens) haben sich im ersten Halbjahr weltweit halbiert. In der Schweiz hingegen sind die Zahlen relativ stabil geblieben und die Schweizer Börse hatte zwei neue Zugänge, zwei weitere Start-ups entschieden sich für eine europäische Börse und eine weitere für die New Yorker. Dabei ist zu erkennen, dass immer mehr jüngere Start-ups den Schritt an die Börse wagen und sich der Trend 2022 weiter fortgesetzt hat.
Abbildung 5: Anzahl Exits im ersten Halbjahr und pro Monat 2022 (Report S. 10) | Abbildung 6: Anzahl IPOs pro Jahr und Durchschnittliches Unternehmensalter beim IPO (Report S. 11) |
Der Wind in den nächsten 12 Monaten wird rauer
Die Analysen im Report beziehen sich auf das letzte halbe Jahr. Um eine Aussage für die Zukunft zu machen, hat SECA im Juni 2022 eine Umfrage durchgeführt, bei welcher 80 VCs und CVCs (Investitionsabteilung eines Unternehmens) teilgenommen haben. Die Hälfte der Befragten allokieren mehr als 30% ihrer Investitionssumme in Schweizer Start-ups.
Mehr als die Hälfte (24) der Rückmeldungen auf die Frage zum geplanten Fundraising gaben an, ihre Aktivitäten in den nächsten 12 Monaten zu starten. Dabei erwarten mehr als die Hälfte keine oder nur eine geringe Verzögerung bei der Erreichung ihrer Volumenziele. Zwei Drittel der Investoren geben an, dass das kumulierte Vermögen, welches sie in den nächsten drei Jahren in Start-ups investieren wollen, bis zu CHF 50 Mio. betragen wird. Die Fondsgrössen bleiben somit weiterhin klein.
Die Umfrage zeigt weiter, dass die Zeiten des stetigen Wachstums von Venture Capital unterbrochen werden könnte. 60% der Befragten gehen davon aus, dass die Investitionssummen bis zu einem Viertel zurückgehen werden. Ende 2021 waren noch 80% der Meinung, dass das Wachstum auch dieses Jahr weiter geht.
Wie bereits erwähnt, wird es für Start-ups schwieriger, Gelder von Investoren zu erhalten. Somit werden auch die Bewertungen in den nächsten Monaten tendenziell sinken, meinen 44% der Befragten. 12% gehen weiterhin von steigenden Bewertungen aus. Diese Meinungen ziehen sich auch bis zu den Exits durch. 60% vermuten zukünftig einen Rückgang der Unternehmensverkäufe. Das hätte einen längerfristigen Impact auf die Investitionsaktivitäten und die Gründung von neuen Fonds. Gelder für neue Investitionen kommen unter anderem aus dem Verkauf von Portfoliounternehmen.
Link zum Report:
Swiss Venture Capital Report Update H1 2022 (PDF)
Begriffe aus der Venture Welt kurz erklärt Venture Capital IPO Exit |