Von Bankbilanzen und Marktplätzen
Mit dem technologischen Fortschritt jedoch entstehen neue Geschäftsmodelle, die den Wert dieser Transformationsfunktionen in Frage stellen. Das Übernehmen von Losgrössen-, Fristen und Risiko-Transformationsfunktionen generiert heute keinen geldwerten Nutzen mehr für die Endkunden, weil sich komplementäre Bedürfnisse im Markt digital direkt finden lassen. Die eingegangenen Risiken dienen allein der Ertragsgenerierung in einem Risiko-Ertragsgerüst, das komplexe Regulierungen notwendig macht.
Als Folge des technologischen Fortschritts und der nicht mehr benötigten Komplexität des zentralisierten Bilanzgeschäfts, entstehen digitale Marktplätze, die den Zwischenspeicher «Bankbilanz» in Frage stellen. Diese Marktplätze bereiten Informationen so auf, dass Angebot und Nachfrage für die verschiedensten Bedürfnisse in Bezug auf Losgrössen, Fristen und Risiken direkt zwischen Endkunden zusammengeführt werden.
Marktplätze für verschiedene Kundenbedürfnisse
Neben den global agierenden Techgiganten entwickeln Fintech Start-ups und die agilsten Banken selbst digitale Marktplätze. In der Schweiz sind für die Aktivseite der Bankbilanzen diverse Marktplätze aktiv oder im Aufbau:
- Instimatch nimmt sich dem Geldmarktgeschäft an und baut ein globales digitales Netzwerk auf. Das Netzwerk bringt institutionelle Anbieter und Nachfrager kurzfristiger Liquidität zusammen. Ein Geschäft, das bisher bilateral zwischen Banken und den Finanzabteilungen von Firmenkunden stattfand.
- Loanboox gewann mit seinem digitalen Marktplatz innert kürzester Zeit einen grossen Marktanteil für Ausleihungen an öffentlich-rechtliche Institute. Kapitalgeber sind Versicherungen, Pensionskassen – und Banken.
- Diverse Plattformen nehmen sich des Konsumkredits an und greifen die hohen Margen der Konsumkreditbanken an.
- Swisspeers bietet Firmenkredite an, bedient Unternehmenskunden mit Finanzierungsbedarf und bringt diese mit privaten und institutionellen Anlegern zusammen.
- Hypotehkargeschäft - im Hypothekargeschäft der Banken werden Auktionsplattformen aufgebaut als eigenständige Firmen oder inhouse:
- Credex, vermittelt Privathypotheken an Institutionelle Investoren.
- UBS Atrium: Über die Plattform Atrium werden durch die UBS Finanzierungen von Renditeliegenschaften vermittelt direkt von institutionellen Anlegern, die sich als Investoren anmelden. UBS macht die Kreditprüfung nach Ihren bestehenden Standards. Danach bietet UBS mit ihrer Bilanz als erstes und institutionelle Anleger können danach unterbieten. Typischerweise werden 1:1 Beziehungen etabliert. Mittlerweile ist Atrium Teil von Key4.
- UBS Key4: 2019 kündigte die UBS an, ihr Marktplatzmodell Atrium auf Privathypotheken für selbst bewohntes Eigentum auszuweiten. Sie schafft gleichzeitig einen Bereich Digital Platforms & Marketplaces (NZZ 26.9.2019). Wiederum werden institutionelle Investoren "gematched" mit Hypothekarnehmer - im Fall von Key4 mit Privaten. Die neusten Entwicklungen dazu im BLOG von Andreas Dietrich vom 29.01.2020. Weiter verwendet die UBS den Brand Key4 seit 2022 für weitere digitale Dienstleistungen.
- Valiant: Im Oktober lancierte die Regionalbank einen Hypothekenvergleich und öffnet ihr Finanzierungsgeschäft damit erstmals für Pensionskassen und Versicherungen.
- Scout24: Am 20.11.2019 hat die Scout24-Gruppe angekündigt, ins Finanzierungs- und Versicherungsgeschäft einzusteigen und über ihre Plattform Hypotheken und Versicherungen zu vermitteln. Scout24 hat dafür die Plattform Hypoguide anfangs 2019 übernommen.
- Brokermarket: Die Plattform der Thurgauer Kantonalbank richtet sich seit November 2021 an Vermittler und Kapitalgeber von Hypotheken. Ihr Alleinstellungsmerkmal sind vor allem die zahlreichen Möglichkeiten zur Individualisierung durch die Nutzer. Weitere Infos finden Sie im BLOG von Urs Blattmann vom 1.12.2021.
- Vontobel schafft eine neue Einheit, Platforms & Services, welche Produkte und Dienstleistungen unabhängigen Vermögensverwaltern und anderen Intermediären zur Verfügung stellt (NZZ 9.12.2019). Dazu gehören die Plattformen Deritrade und Cosmofunding. Letztere ist im ähnlichen Bereich unterwegs wie Loanboox (siehe oben).
Die Konsequenz: Die Rolle der Bilanz als Zwischenspeicher für Retail- und Kommerzbanken wird weniger wichtig. Künftig wird die Kundenberatung den Kern einer Bank ausmachen und nicht länger die «Produktion» von Produkten über ihre Bankbilanz. Dabei werden die Beratungsleistungen weit über das heutige banktypische Angebot hinausgehen. Ein Beispiel ist der Einstieg von Raiffeisen in die Immobilienvermittlung (NZZ 18.10.2019).
Zentralisierung versus Dezentralisierung
Zentralisierte Marktplätze sind nicht das Ende der Entwicklung. Mit der Distributed Ledger-Technologie können die vermittelten Verträge in Smart Contracts abgelegt werden, die Zahlungsinformationen, Bonitätsinformationen oder Käufe und Verkäufe verarbeiten. So wird selbst die Relevanz der Marktplätze als zentrale Drehscheiben wieder abnehmen.
Offen ist, wie lange diese Transformation dauern wird und wie sich die beteiligten Techgiganten, Start-ups und Banken weiterentwickeln.
Dieser Artikel erschien zuerst in ähnlicher Form als Kolumne auf 10X10: